Was ist ein Kiepenkerl in Münster?

Der Kiepenkerl: Symbol Münsters Geschichte

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Der Kiepenkerl ist weit mehr als nur eine historische Figur oder ein Denkmal in Münster. Er ist ein tief verwurzeltes Symbol für das Münsterland, seine Menschen und die Verbindungen zwischen Stadt und Land, die über Jahrhunderte hinweg das Leben in dieser Region prägten. Die Darstellung des wandernden Handelsmannes mit seiner charakteristischen Rückentrage, der sogenannten Kiepe, erzählt Geschichten von Austausch, harter Arbeit und dem Puls des täglichen Lebens in vergangenen Zeiten.

Was ist ein Kiepenkerl in Münster?
Der Kiepenkerl, echt münsterländisch Münster, wie es früher war: Das Denkmal zeigt einen wandernden Handelsmann im Münsterland mit seiner Rückentrage, der so genannten Kiepe. Typisch für die Kiepenkerle war ihre Montur.

In der heutigen schnelllebigen Welt mag die Vorstellung eines Händlers, der zu Fuß oder mit einfachen Mitteln von Hof zu Hof und von Haus zu Haus zog, fast romantisch erscheinen. Doch für die Menschen im Münsterland war der Kiepenkerl eine unverzichtbare Verbindung zur Außenwelt. Er brachte nicht nur dringend benötigte Waren, die auf den Höfen nicht selbst produziert wurden, sondern auch die neuesten Nachrichten und Gerüchte aus der Stadt und anderen Dörfern. Er war Informationsquelle, Lieferant und oft auch ein willkommener Gesprächspartner in der ländlichen Abgeschiedenheit.

Wer war der Kiepenkerl? Ein Bild des alten Münsterlandes

Das Bild des Kiepenkerls ist fest in der münsterländischen Identität verankert. Er verkörperte eine spezifische Lebensweise und eine wichtige wirtschaftliche Rolle. Seine Erscheinung war unverkennbar: Der typische Kiepenkerl trug einen blauen Leinenkittel, ein rotes Halstuch, eine einfache Mütze, einen robusten Knotenstock als Gehhilfe und natürlich seine Pfeife. Mit dieser Montur war er für die langen Wege gerüstet, die er Tag für Tag zurücklegte. Die Kiepe, eine Art großer Korb oder Gestell, das auf dem Rücken getragen wurde, war sein wichtigstes Werkzeug. Darin transportierte er seine Handelswaren – Eier, Butter, Geflügel, aber auch Kleidung, Werkzeuge oder andere Güter, die er in der Stadt erworben hatte, um sie auf dem Land zu verkaufen. Umgekehrt brachte er landwirtschaftliche Produkte in die städtischen Märkte.

Diese Handelsreisenden waren nicht nur einfache Verkäufer. Sie waren die Knotenpunkte eines Netzwerks, das die isolierten Höfe und Dörfer mit dem städtischen Zentrum Münster verband. Durch ihren regelmäßigen Austausch sorgten sie für einen stetigen Fluss von Waren und Informationen. Sie kannten die Bedürfnisse der Städter und die Erzeugnisse der Landbevölkerung und vermittelten geschickt zwischen beiden Welten. Ihre Rolle war somit nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sozial und kommunikativ von großer Bedeutung für das gesamte Münsterland.

Das Kiepenkerl-Denkmal in Münster: Ein Ehrenmal für eine Zunft

Die Wertschätzung für diese traditionelle Figur führte Ende des 19. Jahrhunderts zur Initiative, dem Kiepenkerl ein bleibendes Denkmal zu setzen. Der Verschönerungsverein der Stadt Münster erkannte die kulturelle Bedeutung und beauftragte den Bildhauer August Schmiemann mit der Schaffung einer Statue. Schmiemann legte zwei Entwürfe vor, und einer davon wurde ausgewählt, um die Figur des wandernden Handelsmannes in Bronze zu verewigen. Genauer gesagt, die erste Version war zunächst aus Gips mit einem Galvanoüberzug, was ihr das Aussehen von Bronze verlieh, aber nicht die gleiche Haltbarkeit besaß.

Das erste Denkmal wurde am 16. Oktober 1896 feierlich eingeweiht. Es zeigte einen 1,75 Meter hohen Kiepenkerl in seiner typischen Montur, bereit, seine Reise anzutreten. Der Standort am Spiekerhof 45, in der Nähe des historischen Stadtkerns, war gut gewählt und wurde schnell zu einem bekannten Treffpunkt und Wahrzeichen der Stadt. Es repräsentierte die Verbundenheit Münsters mit seinem ländlichen Umland und erinnerte an eine Zeit, in der das Leben anders, vielleicht langsamer, aber eng miteinander verknüpft war.

Eine bewegte Geschichte: Zerstörung und Propaganda

Die Geschichte des Kiepenkerl-Denkmals spiegelt die turbulenten Ereignisse des 20. Jahrhunderts wider. Während des Zweiten Weltkriegs wurde Münster schwer von Luftangriffen getroffen. Erstaunlicherweise überstand das Denkmal den verheerenden Luftangriff am 10. Oktober 1943 unbeschadet, während große Teile der umliegenden Gebäude in Trümmern lagen. Dieses scheinbar wundersame Überleben wurde von der nationalsozialistischen Propaganda aufgegriffen und instrumentalisiert. Im Jahr 1944 wurde ein Propagandaplakat veröffentlicht, das das unversehrte Denkmal zeigte und mit der Aufschrift „Trotzdem und dennoch – Wi staoht fast!“ (Trotzdem und dennoch – Wir stehen fest!) eine Botschaft der Durchhalteparole aussenden sollte. Das Denkmal wurde so unfreiwillig zum Symbol des Widerstands und der Standhaftigkeit in der Propaganda des Regimes.

Das Schicksal des Denkmals wendete sich jedoch tragisch gegen Ende des Krieges. Beim Einmarsch der US-Armee in Münster wurde die Statue durch einen Panzer zerstört. Ein Panzer, der vielleicht auf seinem Weg durch die Trümmer der Stadt manövrierte, traf das Denkmal und riss es von seinem Sockel oder zermalmte es. Das Symbol der münsterländischen Identität, das die Bomben überstanden hatte, fiel einem Kampfgeschehen am Boden zum Opfer. Dieser Moment markierte nicht nur das Ende des Krieges in Münster, sondern auch das vorläufige Verschwinden eines geliebten Wahrzeichens.

Wiederaufbau: Ein Zeichen der Hoffnung und des Neuanfangs

Unmittelbar nach Kriegsende, in einer Zeit des Wiederaufbaus und der Neuorientierung, setzte sich die Niederdeutsche Bühne Münster dafür ein, das Kiepenkerl-Denkmal wiederzuerrichten. Es sollte ein Zeichen der Hoffnung, der Tradition und des Zusammenhalts für die zerstörte Stadt sein. Ein Wettbewerb zur Neuschaffung der Statue wurde ausgeschrieben, um frische künstlerische Interpretationen der Figur zu finden.

Allerdings fanden die eingereichten Neuentwürfe nicht die Zustimmung des damaligen Bürgermeisters Karl Zuhorn. Man entschied sich stattdessen für eine originalgetreue Rekonstruktion der ursprünglichen Statue. Auf eine Anfrage des Bildhauers Albert Mazzotti junior hin beauftragte die Stadtverwaltung ihn und seinen Kollegen Heinrich Ostlinnig mit dieser wichtigen Aufgabe. Sie sollten die Statue nach dem Vorbild des zerstörten Originals neu schaffen, diesmal jedoch als dauerhaften Bronzeguss. Die Wahl fiel auf Bronze, ein Material, das Witterungseinflüssen besser standhält und eine längere Lebensdauer verspricht als der ursprüngliche Gips mit Galvanoüberzug.

Die neue Bronzestatue wurde mit großer Sorgfalt gefertigt, um dem Geist und Aussehen des ersten Denkmals treu zu bleiben. Ihre Einweihung war ein bedeutendes Ereignis für die Stadt Münster. Sie fand am 20. September 1953 statt, im Rahmen des 20. Deutschen Bauerntages, der in Münster abgehalten wurde. Dies unterstrich erneut die Verbindung des Kiepenkerls zur ländlichen Bevölkerung und zur Landwirtschaft des Münsterlandes. Die feierliche Enthüllung wurde vom damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss persönlich vorgenommen, was die nationale Bedeutung dieses regionalen Symbols hervorhob. Der Wiederaufbau des Denkmals war ein starkes Zeichen für den Willen der Stadt und ihrer Bewohner, ihre Geschichte und Identität auch nach Krieg und Zerstörung zu bewahren und neu zu beleben.

Der Kiepenkerl heute: Ein Treffpunkt und Erinnerungsort

Seit seiner Wiedererrichtung im Jahr 1953 steht das Kiepenkerl-Denkmal wieder fest am Spiekerhof 45 und ist ein integraler Bestandteil des Stadtbildes von Münster. Es ist nicht nur ein historisches Monument, sondern auch ein beliebter Treffpunkt für Einheimische und Touristen. Seine zentrale Lage in der Nähe des Prinzipalmarktes und anderer Sehenswürdigkeiten macht ihn zu einem natürlichen Orientierungspunkt.

In welcher amerikanischen Stadt steht eine Kopie des Kiepenkerl Denkmals in Münster?
In Washington, D.C. steht eine Kopie des Kiepenkerldenkmals in Münster aus rostfreiem Stahl, geschaffen von Jeff Koons anlässlich der Skulptur. Projekte 1987. Sie ist Exponat des Hirshhorn Museum and Sculpture Garden an der National Mall in Washington, D.C.

Das Denkmal erinnert an die Wurzeln der Region, an die Bedeutung des Handels und des Austauschs in früheren Zeiten und an die Widerstandsfähigkeit der Stadt und ihrer Menschen, die Zerstörung überwinden und ihre Symbole wieder aufbauen konnten. Auch wenn die Rolle des Kiepenkerls als wandernder Händler der Vergangenheit angehört, lebt seine Geschichte in diesem Denkmal weiter.

Am 7. April 2018 geriet der Bereich um das Kiepenkerl-Denkmal auf tragische Weise in die Schlagzeilen, als sich unmittelbar davor die Amokfahrt in Münster ereignete. Dieses schreckliche Ereignis hat den Ort und das Denkmal für viele Menschen zu einem Mahnmal gemacht, das nun auch mit den jüngsten, schmerzhaften Kapiteln der Stadtgeschichte verbunden ist. Trotz dieser traurigen Verbindung bleibt das Denkmal in seiner ursprünglichen Bedeutung ein Symbol für die Tradition und Identität des Münsterlandes.

Häufig gestellte Fragen zum Kiepenkerl und seinem Denkmal

Hier finden Sie Antworten auf einige häufig gestellte Fragen rund um die Figur des Kiepenkerls und das berühmte Denkmal in Münster:

Was bedeutet „Kiepenkerl“ eigentlich?

Der Begriff „Kiepenkerl“ bezeichnet einen wandernden Handelsmann, der im Münsterland (und angrenzenden Regionen) tätig war. Seinen Namen hat er von der „Kiepe“, der Rückentrage, die er zum Transport seiner Waren nutzte.

Welche Waren transportierte ein Kiepenkerl typischerweise?

Die Kiepenkerle transportierten eine Vielzahl von Waren, je nach Bedarf und Jahreszeit. Dazu gehörten landwirtschaftliche Produkte wie Eier, Butter, Käse, Geflügel oder Honig vom Land in die Stadt, aber auch städtische Produkte wie Salz, Werkzeuge, Stoffe, Gewürze oder Nachrichten vom Markt in der Stadt zurück aufs Land.

Wo genau steht das Kiepenkerl-Denkmal in Münster?

Das Kiepenkerl-Denkmal steht am Spiekerhof 45 in der Altstadt von Münster, in der Nähe des Prinzipalmarktes.

Wann wurde das ursprüngliche Denkmal errichtet?

Das erste Denkmal wurde am 16. Oktober 1896 eingeweiht.

Was geschah mit dem Denkmal im Zweiten Weltkrieg?

Das Denkmal überstand einen schweren Luftangriff im Jahr 1943 unbeschadet und wurde von der nationalsozialistischen Propaganda genutzt. Es wurde jedoch gegen Kriegsende, beim Einmarsch der US-Armee, durch einen Panzer zerstört.

Wann und von wem wurde das heutige Denkmal geschaffen und eingeweiht?

Das heutige Bronzedenkmal wurde von Albert Mazzotti junior und Heinrich Ostlinnig geschaffen und am 20. September 1953 vom damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss eingeweiht. Es ist eine originalgetreue Nachbildung des ersten Denkmals, aber aus Bronze.

Warum ist der Kiepenkerl heute noch wichtig für Münster?

Der Kiepenkerl ist ein wichtiges Symbol für die Geschichte, Kultur und Identität des Münsterlandes. Das Denkmal erinnert an die traditionellen Verbindungen zwischen Stadt und Land, an die Rolle des Handels und ist ein beliebter Treffpunkt und ein Stück lebendige Stadtgeschichte.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Kiepenkerl und sein Denkmal tief in der Geschichte und Kultur Münsters verwurzelt sind. Sie erzählen die Geschichte einer vergangenen Zeit, einer wichtigen Zunft und der bemerkenswerten Widerstandsfähigkeit eines Symbols, das Zerstörung überwand, um weiterhin als stolzes Wahrzeichen am Spiepenkerl zu stehen.

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Bruno Auerei Leimen

Ich heiße Bruno Auerei Leimen und wurde 1979 in Heidelberg geboren. Seit über zwanzig Jahren widme ich mich leidenschaftlich der Entdeckung der kulinarischen Vielfalt Deutschlands. Nach meinem Studium der Literatur und des Journalismus an der Universität München habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, meine Liebe zum Schreiben mit meiner Neugier für authentische regionale Küche zu verbinden. Heute arbeite ich als Gastronomiekritiker, habe drei Bücher über kulinarische Reisen veröffentlicht und schreibe regelmäßig für renommierte Magazine. Besonders schlägt mein Herz für traditionelle Gerichte und handwerklich gebrautes Bier.

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