Gibt es wirklich ein Restaurant, in dem man volle zehn Wochen auf sein Abendessen wartet? Ja, ein solches Konzept existiert und stellt traditionelle Vorstellungen von Gastronomie komplett auf den Kopf. Während dieses einzigartige Projekt, bekannt als REALtimeFOOD, bewusst auf Entschleunigung setzt und das Wachstum von Lebensmitteln zelebriert, kämpft die breite Gastronomiebranche in Deutschland mit ganz anderen, existentiellen Herausforderungen, die zu einem besorgniserregenden Anstieg von Schließungen und Insolvenzen führen. Ein Blick auf diese beiden Extreme zeigt die Spannweite und die Schwierigkeiten im heutigen Restaurantgeschäft.

Das Konzept des 'langsamsten Restaurants der Welt': REALtimeFOOD
Das Projekt REALtimeFOOD beginnt auf ungewöhnliche Weise: Ein Restaurant öffnet seine Türen, aber es gibt weder Essen, noch Geschirr, noch Kochmöglichkeiten. Stattdessen wird jedem Gast, der eine Bestellung aufgibt, mitgeteilt, dass er ganze zehn Wochen auf sein Abendessen warten muss. Der Grund? Das Essen in diesem Restaurant wird „auf Bestellung angebaut“ – im wahrsten Sinne des Wortes.

Dieses temporäre Restaurant dient als Auftakt für ein umfassendes, gemeinschaftsbasiertes Kunst- und Ökologieprojekt. Über mehrere Monate hinweg wird ein leerstehendes städtisches Grundstück zum Leben erweckt und in einen natürlichen Garten verwandelt. Die Gemeinschaft wird eingeladen, sich aktiv an der Kultivierung von Lebensmitteln, aber auch an der Pflege von Mitgefühl, Beziehungen und Kreativität zu beteiligen.
Nach den zehn Wochen, wenn die Lebensmittel im Garten herangewachsen sind, werden die ursprünglichen Kunden zurück ins Restaurant eingeladen. Dort erwartet sie ihr lang erwartetes Abendessen, zubereitet von der japanischen makrobiotischen Köchin Kaori Tsuji. Das kulinarische Erlebnis wird durch eine beeindruckende Zeitraffer-Videoinstallation ergänzt, die das Wachstum der verarbeiteten Lebensmittel dokumentiert, sowie durch eine Ausstellung der künstlerischen Werke, die von der Gemeinschaft während der zehnten Wochen Garten-Kunst-Workshops geschaffen wurden.
Das Design des Gartens und die Workshop-Reihe basieren auf jahrelangem akademischem Studium im Bereich Kunst und Ökologie in Großbritannien und Japan sowie auf mehrjähriger direkter Zusammenarbeit und dem Lernen von weltweit führenden nachhaltigen „natürlichen“ Landwirten. Das Ziel von REALtimeFOOD ist weit mehr als nur ökologische Kunst oder das Lernen über Pflanzen und Boden. Es geht darum, Menschen die Möglichkeit zu geben, Bewusstsein und Mitgefühl für ihre Umwelt zu kultivieren. Aus diesem Mitgefühl erwachsen tiefere und bedeutsamere Beziehungen – sowohl zu den Lebewesen im Garten als auch zu unseren Mitmenschen. Diese Beziehungen, die hier von den Einzelnen gepflegt werden, wirken sich auf ihr Leben außerhalb des Gartens aus und durchdringen ihre Verbindungen zu anderen Menschen und zur lebendigen Welt um sie herum.
Das Projekt wurde erstmals 2015 von Patrick Lydon und Suhee Kang in Osaka, Japan, realisiert und unter anderem von der Chishima Foundation for Creative Osaka unterstützt. Eine zweite Version fand 2016 in Megijima, Japan, statt, ebenfalls unter der Leitung von Patrick und Suhee, mit Kaori Tsuji als Produzentin, Projektmanagerin, Chefköchin und Managerin des Naturgartens.
Teilnehmer berichteten, dass das Projekt nicht nur unterhaltsam, sondern erstaunlich augenöffnend war und ihre Beziehungen zur Umwelt auf neue Ebenen hob sowie ihre Sicht auf die Welt immens erweiterte. Dieses Konzept von zehn Wochen des Wachsens und Wartens steht in starkem Kontrast zum oft hektischen und kurzlebigen Geschäft der traditionellen Gastronomie.
Die Kehrseite der Medaille: Das Gaststättensterben in Deutschland
Während REALtimeFOOD bewusst die Zeit dehnt und das Wachstum zelebriert, kämpft ein großer Teil der deutschen Gastronomiebranche mit dem Gegenteil: einem schnellen und oft abrupten Ende. Die Zahlen der letzten Jahre sind alarmierend und zeigen eine deutliche Verschärfung der Gastronomie-Krise.
Laut einer Studie der Wirtschaftsauskunftei Creditreform hat im vergangenen Jahr, 2023, jedes zehnte Unternehmen in der Gastronomie aufgegeben. Das entspricht rund 14.000 Schließungen, eine Zahl, die höher liegt als in den drei Jahren zuvor. Seit 2020 haben bundesweit etwa 48.000 Betriebe geschlossen und 6.100 einen Insolvenzantrag gestellt. Obwohl die Zahl der Insolvenzfälle im Jahr 2023 noch unter dem Vor-Corona-Niveau lag, rechnet Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung, damit, dass die Branche sich weiter ausdünnen wird. Seiner Einschätzung nach hat die Welle der Insolvenzen gerade erst begonnen.
Gründe für die Schwierigkeiten in der Branche
Die Gründe für die aktuellen Probleme der Gastronomie sind vielfältig und resultieren aus einer Abfolge von Krisen. Experten sehen die Gastronomie als einen der Hauptverlierer der letzten Jahre. Kaum hatte sich die Branche von den Auswirkungen der Coronakrise erholt, folgte mit der Inflation der nächste schwere Schlag.
Die gestiegenen Kosten, insbesondere für Personal und Lebensmittel, setzen die Betriebe enorm unter Druck. Notwendige Preiserhöhungen, um diese Kosten aufzufangen, führen jedoch dazu, dass die Kundschaft ausbleibt oder weniger konsumiert. Dies hat zur Folge, dass die preisbereinigten Umsätze und Erträge vieler Gastronomiebetriebe unter dem Niveau vor der Pandemie liegen. Laut Statistischem Bundesamt war der preisbereinigte Umsatz im Jahr 2023 knapp 13 Prozent niedriger als noch 2019.
Ein weiterer wesentlicher Faktor, der die Krise verschärft hat, ist die Anhebung der Umsatzsteuer für Speisen Anfang 2024. Seit Januar müssen Gastronomen wieder 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Speisen abführen, statt der während der Pandemie zur Entlastung gesenkten sieben Prozent. Diese Steuererhöhung, mit der die Bundesregierung auf zusätzliche Einnahmen von 3,4 Milliarden Euro hofft, belastet die Betriebe zusätzlich in einem ohnehin schwierigen Umfeld.
Auch der Personalmangel stellt viele Restaurants vor große Probleme. Die Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA), Ingrid Hartges, bezeichnet die Entwicklung als „bitter“ und führt die Schwierigkeiten auf höhere Personalkosten, gestiegene Lebensmittelpreise, Personalmangel und die Mehrwertsteuererhöhung zurück. Trotz der Treue vieler Stammgäste sind die Gästezahlen insgesamt gesunken.
Wer ist besonders vom Gaststättensterben betroffen?
Die Insolvenzen in der Gastronomie sind im vergangenen Jahr laut Creditreform um 27 Prozent gestiegen, was stärker ist als der Anstieg in der Gesamtwirtschaft. Besonders hart getroffen sind dabei bestimmte Segmente der Branche. Caterer und Verpflegungsdienstleister verzeichneten einen besonders drastischen Anstieg der Insolvenzen um 67 Prozent.

Die Daten zeigen auch, dass die Größe und das Alter eines Unternehmens eine Rolle spielen. 88 Prozent aller Insolvenzen in der Gastronomie entfielen auf Kleinstunternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern. Darüber hinaus waren fast die Hälfte (49 Prozent) der insolventen Unternehmen junge Unternehmen, die maximal fünf Jahre alt waren. Dies deutet darauf hin, dass gerade kleinere und neuere Betriebe besonders anfällig für die aktuellen wirtschaftlichen Belastungen sind.
Ausblick für die Gastronomiebranche
Experten blicken mit Sorge auf das laufende Jahr. Creditreform prognostiziert für 2024 einen weiteren Anstieg der Insolvenzfälle in der Gastronomie auf das Niveau vor der Pandemie. Auch der Finanzinformationsdienst Crif teilt diese Einschätzung. Ende des Jahres 2023 schätzten die Experten die Zahl der insolvenzgefährdeten Restaurants, Gaststätten, Imbisse und Cafés in Deutschland auf mehr als 15.000.
Die Kombination aus hohen Betriebskosten, Inflation, Fachkräftemangel und der wieder angehobenen Mehrwertsteuer schafft ein herausforderndes Umfeld, das vielen Betrieben das Überleben schwer macht.
Häufig gestellte Fragen
Was ist das 'langsamste Restaurant der Welt'?
Es handelt sich um das Kunst- und Ökologieprojekt REALtimeFOOD, bei dem Gäste zehn Wochen auf ihr Essen warten, da es erst nach der Bestellung im Rahmen eines Gemeinschaftsgartens angebaut wird.
Wie lange dauert das Warten im REALtimeFOOD Projekt?
Exakt zehn Wochen dauert es von der Bestellung bis zum servierten Abendessen.
Ist REALtimeFOOD ein typisches Restaurant?
Nein, es ist ein temporäres Kunst- und Gemeinschaftsprojekt, das sich mit ökologischen Themen und Beziehungen beschäftigt, nicht ein kommerzieller Gastronomiebetrieb im herkömmlichen Sinne.
Wie viele Restaurants in Deutschland haben 2023 geschlossen?
Im Jahr 2023 hat laut Creditreform jedes zehnte Unternehmen in der Gastronomie aufgegeben, was etwa 14.000 Schließungen entspricht.
Was sind die Hauptgründe für Restaurantinsolvenzen in Deutschland?
Zu den Hauptgründen zählen die Nachwirkungen der Coronakrise, hohe Inflation, gestiegene Kosten für Personal und Lebensmittel, die Anhebung der Mehrwertsteuer auf Speisen und Personalmangel.
Welche Arten von Gastronomiebetrieben sind besonders von Insolvenzen betroffen?
Besonders betroffen sind Kleinstunternehmen (bis zu 10 Mitarbeiter) und junge Unternehmen (maximal 5 Jahre alt), sowie Caterer und Verpflegungsdienstleister.
Wie ist die Prognose für die Restaurantbranche in Deutschland?
Experten erwarten für 2024 einen weiteren Anstieg der Insolvenzfälle auf das Niveau vor der Pandemie, mit einer hohen Zahl von Betrieben, die als insolvenzgefährdet gelten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Welt der Gastronomie eine enorme Bandbreite bietet – von einzigartigen, entschleunigten Kunstprojekten wie REALtimeFOOD, die neue Wege des Essens und Erlebens aufzeigen, bis hin zum harten Überlebenskampf tausender traditioneller Betriebe, die mit wirtschaftlichem Druck und steigenden Kosten konfrontiert sind. Die aktuellen Zahlen verdeutlichen, dass die Branche in Deutschland vor großen Herausforderungen steht und sich von den Krisen der letzten Jahre noch lange nicht erholt hat.
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