Wie isst man Afghanisch?

Afghanische Küche: Mehr als nur Essen

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Die afghanische Küche ist weit mehr als nur die Zubereitung von Mahlzeiten; sie ist ein Ausdruck von Geschichte, Kultur und Gastfreundschaft, tief verwurzelt in der geografischen Lage des Landes an der berühmten Seidenstraße. Diese zentrale Position hat über Jahrhunderte hinweg einen reichen Austausch mit den umliegenden Regionen ermöglicht und die afghanische Küche maßgeblich geprägt. Einflüsse aus der persischen, indischen, zentralasiatischen und türkischen Küche finden sich in den Aromen, Zubereitungsarten und den verwendeten Zutaten wieder, was zu einer einzigartigen kulinarischen Identität geführt hat. Gleichzeitig gibt es innerhalb Afghanistans eine bemerkenswerte Vielfalt, die sich in den Küchen der verschiedenen ethnischen Gruppen widerspiegelt – jede mit ihren eigenen Spezialitäten und Traditionen.

Wie isst man Afghanisch?
Esskultur. Traditionell werden die Speisen in Afghanistan auf einem Tuch auf dem Boden ausgebreitet, um das sich die Essenden platzieren und die Speisen mit der rechten Hand essen.

Traditionelle Esskultur und Gastfreundschaft

Das gemeinsame Essen nimmt in Afghanistan einen hohen Stellenwert ein und ist oft ein Ausdruck von Gemeinschaft und Gastfreundschaft. Traditionell versammelt man sich nicht an Tischen, sondern breitet ein Tuch, oft eine Dastarkhan genannt, auf dem Boden aus. Darauf werden die verschiedenen Speisen liebevoll angerichtet. Die Essenden sitzen um dieses Tuch herum, oft auf Kissen oder Matten. Das Essen wird traditionell mit der rechten Hand gegessen, eine Geste, die nicht nur Praktikabilität, sondern auch kulturelle Bedeutung hat.

Diese Art des Speisens fördert das Teilen und die Nähe und unterstreicht den gemeinschaftlichen Charakter der Mahlzeit. Es geht nicht nur um die Nahrungsaufnahme, sondern um das soziale Miteinander, das Erzählen von Geschichten und das Pflegen von Beziehungen. Gäste werden stets mit großer Herzlichkeit empfangen und reichlich bewirtet; das Anbieten von Speisen und Getränken ist ein zentraler Bestandteil der afghanischen Gastfreundschaft.

Die Grundpfeiler: Brot und Reis

Zwei Lebensmittel stehen im Zentrum der afghanischen Ernährung: Brot und Reis. Brot, in Afghanistan oft einfach als Nan bezeichnet, ist allgegenwärtig. Es wird hauptsächlich aus Weizenmehl hergestellt und kommt in verschiedenen Formen vor, wobei das flache, oft längliche Nan aus dem Tandur-Ofen am bekanntesten ist. Eine andere verbreitete Form ist Chapati, ein ungesäuertes Fladenbrot. Brot ist so fundamental, dass es zusammen mit Tee oft eine vollständige Mahlzeit darstellen kann, besonders in einfacheren Verhältnissen oder als schnelles Frühstück. Es dient aber auch als unverzichtbare Beilage zu fast allen Hauptgerichten, von Eintöpfen bis zu Currys, und wird oft zum Aufnehmen von Soßen verwendet.

Ebenso wichtig ist Reis, der in Afghanistan zu einer wahren Kunst erhoben wurde. Langkörniger Reis, oft Basmati, bildet die Grundlage für die berühmten Pilaws. Der Qabuli Pulau ist das Nationalgericht Afghanistans und ein Paradebeispiel für die Raffinesse der afghanischen Reisküche. Er besteht aus gedämpftem Reis, der oft mit karamellisierten Karottenstreifen, Rosinen und Mandelsplittern verfeinert wird und traditionell mit Lammfleisch serviert wird. Diese Kombination aus süßen und herzhaften Aromen macht ihn zu einem unvergesslichen Gericht. Neben den Pilaws gibt es den einfachen Beilagenreis, Chalau genannt, der oft weiß und locker gekocht wird. Kurzkörniger, klebriger Reis heißt Bata und wird für andere Zubereitungen verwendet. Reis findet sich auch in Desserts, wie dem süßen Milchreis (Shir Berenj).

Fleischgerichte: Vielfalt und Geschmack

Fleisch spielt eine zentrale Rolle in der afghanischen Küche, wobei Lammfleisch die unangefochtene Nummer eins ist. Sein zarter Geschmack und seine Vielseitigkeit machen es zur bevorzugten Wahl für viele Hauptgerichte. Aber auch Ziege, Rindfleisch, Kamelfleisch (insbesondere in bestimmten Regionen), Geflügel und sogar Wildbret stehen auf dem Speiseplan. Wie in vielen islamisch geprägten Küchen ist der Verzehr von Schweinefleisch streng tabu.

Eine der beliebtesten Zubereitungsarten für Fleisch ist Kebab. Afghanische Kebabs sind oft zart mariniert und über offenem Feuer oder Holzkohle gegrillt, was ihnen ein rauchiges Aroma verleiht. Es gibt zahlreiche Varianten, von einfachen Lamm- oder Rindfleischspießen bis hin zu Hackfleischkebabs. Eine bemerkenswerte Spezialität ist Dopyasa, eine Kebabvariante, die für ihren reichen Geschmack bekannt ist, da sie oft mit dem Fett von Fettschwanzschafen zubereitet wird. Fisch ist als Nahrungsquelle weniger verbreitet, was auf die Binnenlage des Landes zurückzuführen ist, spielt aber in einigen Regionen oder zu bestimmten Anlässen eine Rolle.

Milchprodukte und ihre Rolle

Milchprodukte sind ein wichtiger Bestandteil der afghanischen Ernährung und werden auf vielfältige Weise verwendet. Joghurt (Mast) ist das wichtigste Milchprodukt und wird sowohl pur verzehrt als auch in zahlreichen Gerichten als Zutat verwendet, zum Beispiel in Soßen oder als säuerliche Komponente. Aus Joghurt wird Tschaka hergestellt, eine dickere, cremige Masse. Diese kann weiterverarbeitet werden, indem sie zu Kugeln geformt und getrocknet wird. Das Ergebnis sind Qroot (oder Qurut), harte, saure Joghurtkugeln, die in Wasser aufgelöst als Basis für bestimmte Eintöpfe oder Suppen dienen und ihnen eine einzigartige Säure verleihen.

Panir ist der afghanische Käse, ähnlich dem indischen Paneer, ein nicht schmelzender Frischkäse. Ein typisches Frühlingsgericht, das die Frische der Jahreszeit einfängt, ist Kischmish Panir, eine einfache, aber köstliche Kombination aus Panir und roten Weintrauben. Ein weiteres wichtiges Milchprodukt ist Kaymak (oder Qymak), eine Art dicke Sahne oder Clotted Cream. Kaymak wird oft zum Frühstück zusammen mit frischem Nan und manchmal Honig oder Marmelade gegessen.

Süßigkeiten und Desserts: Ein seltener Genuss

Im Gegensatz zu vielen anderen Küchen der Region sind Desserts und Süßigkeiten in Afghanistan eher ein seltener Luxus und meist besonderen Anlässen wie Feiern, Hochzeiten oder religiösen Festen vorbehalten. Wenn sie zubereitet werden, sind sie oft einfach, aber raffiniert.

Am häufigsten findet man Puddings auf Milchbasis, wie Firni, einen cremigen Reis- oder Maisstärkepudding, oft mit Kardamom oder Rosenwasser aromatisiert und mit Pistazien garniert. Süße Reisspeisen sind ebenfalls beliebt. Süßigkeiten wie Halva (eine dichte, süße Paste, oft aus Grieß oder Mehl) und Jalebi (frittiertes Teiggebäck in Zuckersirup getränkt) sind in Afghanistan ebenso verbreitet wie in anderen Ländern Südasiens und des Nahen Ostens, was die kulturellen Verbindungen unterstreicht.

Es gibt aber auch einzigartige afghanische Süßigkeiten. Gusch-e Fil bedeutet wörtlich 'Elefantenohr' und ist ein leichtes, knuspriges Gebäck, das oft mit Puderzucker bestreut wird. Eine sehr spezielle und aufwendige Süßigkeit ist Abrayshum Kebeb, was 'Seidenkebab' bedeutet. Dabei wird rohe Eimasse zu hauchdünnen Fäden gezogen, um einen Stab gewickelt und anschließend mit Sirup und gehackten Pistazien bedeckt – eine wahre Kunstfertigkeit.

Zum Fest des islamischen Neujahrs, Nowruz, wird traditionell Haft Mewa gegessen, eine Süßspeise aus sieben verschiedenen getrockneten Früchten und Nüssen, die in Sirup eingelegt werden und für Glück und Wohlstand im neuen Jahr stehen.

Der Abschluss: Obst und die Teekultur

Eine Mahlzeit wird in Afghanistan oft mit frischem Obst abgeschlossen. Dank des Klimas und der fruchtbaren Täler gibt es eine reiche Auswahl an Früchten, wobei Trauben und Melonen besonders beliebt und von hoher Qualität sind.

Das wichtigste Getränk zu jeder Tageszeit ist jedoch Tee. Ob Grüner Tee (Chai Sabz) oder Schwarzer Tee (Chai Siyah), Tee ist ein Symbol der Gastfreundschaft und des sozialen Lebens. Oft wird er mit Kardamom gewürzt, was ihm ein warmes, aromatisches Profil verleiht. Dazu werden gerne gesüßte Mandeln, Noql genannt, gereicht – ein Konfekt aus Zuckersirup, Gewürzen und Mandelkernen, das perfekt zum Tee passt.

Die Teekultur ist so zentral, dass öffentliche Teehäuser (Chaikhanas) in jeder Stadt und jedem Dorf zu finden sind. Sie sind wichtige Treffpunkte, an denen Männer zusammenkommen, um Tee aus dem Samowar zu trinken, sich zu unterhalten, Nachrichten auszutauschen und manchmal auch kleine Mahlzeiten zu sich zu nehmen.

Zu besonderen Anlässen gibt es eine einzigartige Tee-Spezialität: Qymaq Chai. Dieser Tee wird aus grünem Tee zubereitet, dem Natron und Milch zugesetzt werden. Durch die Zugabe von Natron erhält der Tee eine leuchtend rosa oder rötliche Farbe. Abgerundet wird er mit einer großzügigen Portion Kaymak, der dicken Sahne, was ihm eine reiche, cremige Textur und einen unverwechselbaren Geschmack verleiht.

Tabelle: Einige typische afghanische Spezialitäten

Gericht / ZutatBeschreibung
NanFladenbrot, Grundnahrungsmittel
Qabuli PulauNationalgericht: Reis mit Karotten, Rosinen, Mandeln und Lamm
MushawaBohneneintopf, oft mit Brot gegessen
KebabGegrilltes Fleisch (oft Lamm), viele Varianten
Joghurt (Mast)Wichtiges Milchprodukt, pur oder in Gerichten
QrootGetrocknete, saure Joghurtkugeln, für Saucen
FirniMilchpudding
Haft MewaSüßspeise aus 7 Trockenfrüchten/Nüssen (Neujahr)
Tee (Chai)Wichtigstes Getränk, oft mit Kardamom
Qymaq ChaiRosa Tee mit Milch und Kaymak (besondere Anlässe)

Häufig gestellte Fragen zur afghanischen Küche

Wird in Afghanistan Schweinefleisch gegessen?
Nein, der Verzehr von Schweinefleisch ist im Islam, der Religion der Mehrheit der Bevölkerung Afghanistans, verboten und daher nicht Teil der afghanischen Küche.

Was ist das Nationalgericht Afghanistans?
Das Nationalgericht ist Qabuli Pulau, ein reichhaltiges Reisgericht mit Lamm, karamellisierten Karotten, Rosinen und Mandeln.

Wie unterscheidet sich afghanischer Reis von anderem Reis?
Afghanischer Reis, insbesondere für Pilaws, wird oft aufwendig zubereitet, gedämpft und mit einer Vielzahl von Zutaten verfeinert, um komplexe Aromen zu erzielen. Es gibt auch spezielle Namen für verschiedene Reistypen wie Chalau (Beilagenreis) und Bata (klebriger Reis).

Was ist Qymaq Chai?
Qymaq Chai ist ein traditioneller Tee für besondere Anlässe. Er wird aus grünem Tee mit Milch und Natron zubereitet, was ihm eine rosa Farbe verleiht, und mit Kaymak (dicker Sahne) garniert.

Spielen Süßigkeiten eine große Rolle?
Süßigkeiten und Desserts sind in Afghanistan eher ein Luxus und werden hauptsächlich zu besonderen Anlässen und Festen zubereitet und verzehrt, nicht als alltäglicher Abschluss einer Mahlzeit.

Isst man mit Besteck?
Traditionell wird in Afghanistan mit der rechten Hand gegessen, insbesondere wenn auf dem Boden auf einem Tuch (Dastarkhan) gegessen wird. In moderneren Haushalten oder Restaurants kann auch Besteck verwendet werden.

Was sind typische Gewürze?
Typische Gewürze sind Kardamom (oft im Tee), Kreuzkümmel, Koriander, Kurkuma, Safran (besonders für Reis), Zimt und manchmal auch Chili oder schwarzer Pfeffer, je nach Gericht und regionaler Präferenz.

Die afghanische Küche bietet eine faszinierende Reise durch Aromen und Traditionen, die von der reichen Geschichte des Landes und seinen vielfältigen kulturellen Einflüssen zeugen. Sie lädt dazu ein, die Bedeutung von Gastfreundschaft und Gemeinschaft am Esstuch zu erleben und die Komplexität einfacher, aber tiefgründiger Gerichte zu schätzen.

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Bruno Auerei Leimen

Ich heiße Bruno Auerei Leimen und wurde 1979 in Heidelberg geboren. Seit über zwanzig Jahren widme ich mich leidenschaftlich der Entdeckung der kulinarischen Vielfalt Deutschlands. Nach meinem Studium der Literatur und des Journalismus an der Universität München habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, meine Liebe zum Schreiben mit meiner Neugier für authentische regionale Küche zu verbinden. Heute arbeite ich als Gastronomiekritiker, habe drei Bücher über kulinarische Reisen veröffentlicht und schreibe regelmäßig für renommierte Magazine. Besonders schlägt mein Herz für traditionelle Gerichte und handwerklich gebrautes Bier.

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