Ohrdruf, eine charmante Kleinstadt im thüringischen Landkreis Gotha, birgt eine reiche Geschichte und vielfältige Facetten, die weit über ihre beschauliche Größe hinausgehen. Gelegen am Rande des Thüringer Waldes, ist sie nicht nur landschaftlich reizvoll, sondern auch historisch von großer Bedeutung. Viele kennen Ohrdruf als einen wichtigen Ort im Leben des weltberühmten Komponisten Johann Sebastian Bach, doch die Stadt hat noch viel mehr zu erzählen – angefangen bei ihrem ungewöhnlichen Namen.

Die Namensherkunft von Ohrdruf
Die Frage, warum Ohrdruf Ohrdruf heißt, ist schnell beantwortet und eng mit der Geographie der Stadt verbunden. Der Name leitet sich vom Flüsschen Ohra ab, das durch den Ort fließt. Der zweite Teil des Namens, „-druf“, entstand durch eine Akzentverschiebung aus dem althergebrachten Wort „-dorf“. So bedeutet Ohrdruf im Grunde „Dorf an der Ohra“. Diese einfache Erklärung verbindet die Stadt direkt mit ihrer natürlichen Umgebung und ihrer frühen Siedlungsgeschichte als Flussdorf.
Geographische Lage und Besonderheiten
Ohrdruf liegt auf einer Höhe von 375 Metern über Normalhöhennull. Die Stadt befindet sich am Übergang des Westthüringer Berg- und Hügellandes zur östlich angrenzenden Ohrdrufer Platte, einer charakteristischen Muschelkalkformation. Das Besondere an der geographischen Lage ist das plötzliche Ansteigen der Berge des Thüringer Waldes nur etwa zwei Kilometer südlich der Stadt. Die sonst übliche sanfte Übergangszone aus Hügeln fehlt hier weitgehend, was der Landschaft eine eigene Prägung gibt. Nördlich und westlich der Stadt erstreckt sich hingegen nahezu völlig flaches Land.
Eine Reise durch die Geschichte Ohrdrufs
Die Geschichte Ohrdrufs reicht weit zurück. Schon um die Zeit Christi Geburt gab es in der Nähe des heutigen Schlosses eine Siedlung der elbgermanischen Hermunduren. Später, nach 530 n. Chr., wurde in diesem Bereich eine fränkische Wasserburg errichtet.
Im Jahr 723/724 begann in Ohrdruf die Missionierung Thüringens durch Bonifatius, der hier die Zelle St. Michael gründete. Diese Zelle gehörte später zur Reichs-Abtei Hersfeld. Im 10. Jahrhundert war Ohrdruf mit seinem Petristift sogar Aufenthaltsort von Kaiser Otto I.
Die Herrschaft über Ohrdruf wechselte im Laufe der Jahrhunderte. Von den Grafen von Käfernburg-Schwarzburg gelangte die Stadt 1342 an die Grafen von Gleichen. Seit dem Spätmittelalter stand sie jedoch unter der Lehns- und Landesherrschaft der mächtigen Wettiner. 1348 erhielt Ohrdruf die Stadtrechte, und ab 1356 wurde sie von Ratsmeistern verwaltet.
Ein bedeutendes Ereignis war die Verlegung des Wohnsitzes der Grafen von Gleichen nach Ohrdruf im Jahr 1599, verbunden mit dem Bau des Schlosses Ehrenstein. Gleichzeitig wurde die Stadt ummauert und ein Gymnasium eröffnet. Als das Geschlecht von Gleichen 1631 ausstarb, fiel die Obergrafschaft Gleichen, zu der Ohrdruf gehörte, an die Linie Neuenstein der Fürsten von Hohenlohe. Die Landeshoheit verblieb bei den Wettinern und ging 1657 an Sachsen-Gotha über.
Die Stadt wurde mehrfach von schweren Katastrophen heimgesucht. Pestepidemien in den Jahren 1611, 1625/26 und 1635/36 forderten über die Hälfte der Bevölkerung. Große Stadtbrände in den Jahren 1510, 1753 und 1808 zerstörten nicht nur historische Gebäude wie das Rathaus, die Michaeliskirche und das Wohnhaus von Johann Christoph Bach (dem Bruder und Orgellehrer von Johann Sebastian Bach), sondern vernichteten auch wichtige Dokumente.
Die Wirtschaft Ohrdrufs war traditionell von Landwirtschaft, Wollweberei und Frachtfuhren geprägt. Handwerk und frühe Industrie spielten ebenfalls eine Rolle, darunter zwei Kupferhämmer (der Tobiashammer von 1482), ein Eisenwerk und Papiermühlen. Eine Besonderheit war die Innung der Peitschenstielmacher. Ab 1837 setzte die Industrialisierung ein, mit Fabriken für Matratzen, Porzellan, Spielwaren, Knöpfe, Lederwaren und Glasinstrumente. Besonders die Spielwarenindustrie war innovativ und international erfolgreich.
Die Anbindung an das Eisenbahnnetz erfolgte 1876 mit der Linie nach Gotha und 1892 nach Gräfenroda, was die wirtschaftliche Entwicklung weiter begünstigte. Die Bahnlinie wurde jedoch 2011 eingestellt, obwohl es Bestrebungen zur Reaktivierung gibt.
Das 20. und 21. Jahrhundert: Herausforderungen und Aufschwung
Ab 1906 prägte der Ausbau des Truppenübungsplatzes die Stadt, was zunächst zu einem wirtschaftlichen Aufschwung führte. Der Erste Weltkrieg forderte auch in Ohrdruf viele Opfer.
Administrativ gehörte Ohrdruf bis 1918 zum Herzogtum Sachsen-Gotha und danach zum Freistaat bzw. Gebiet Gotha. Von 1858 bis 1922 war Ohrdruf Sitz eines eigenen Landratsamtes, das ein vergleichsweise großes Gebiet umfasste. Mit der thüringischen Kreiseinteilung von 1922 kam der überwiegende Teil des Bezirks zum Landkreis Gotha.
Die Weltwirtschaftskrise ab 1930/31 traf die Stadt schwer. Politisch war die Zeit von starken Veränderungen geprägt, mit zunächst starken linken Parteien, gefolgt von der Machtübernahme der NSDAP, die ab 1931 den Bürgermeister stellte und ab 1932 die Mehrheit im Stadtrat hatte.
Der Zweite Weltkrieg brachte Zerstörung. Nach einem kleineren Angriff im November 1944 wurde die Stadt am 6. Februar 1945 Ziel eines schweren amerikanischen Luftangriffs, der 69 Menschen das Leben kostete, 1000 obdachlos machte und zahlreiche Gebäude, darunter die Michaeliskirche, zerstörte oder beschädigte.
Im April 1945 besetzten US-Truppen die Stadt. Dabei machten sie eine schockierende Entdeckung: das KZ-Außenlager Ohrdruf, eine Außenstelle des KZs Buchenwald. Die Häftlinge wurden hier für den Bau unterirdischer Anlagen zur Zwangsarbeit eingesetzt. Die US-Generäle Eisenhower, Bradley und Patton besichtigten das Lager und bestanden darauf, dass sowohl ihre Truppen als auch die Zivilbevölkerung Zeugen dieser Gräueltaten wurden. Die Bewohner Ohrdrufs mussten bei der Bestattung der Leichen helfen. Unter dem Eindruck des Gesehenen nahmen sich der damalige Bürgermeister und seine Frau das Leben.
Anfang Juli 1945 rückte die Rote Armee ein, und Ohrdruf wurde Teil der Sowjetischen Besatzungszone und später der DDR. Die sowjetische Garnison in Ohrdruf war eine der größten in Thüringen. Nach der politischen Wende verließ der letzte sowjetische Soldat im Oktober 1991 die Stadt.
Seit 1990 hat Ohrdruf eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht. Ein neues Gewerbegebiet entstand mit über 30 Firmen und Tausenden von Arbeitsplätzen. Die Altbausubstanz und Infrastruktur wurden saniert, und das Schloss Ehrenstein wurde aufwendig rekonstruiert, auch nach dem Brand von 2013. Neue Wohngebiete wurden erschlossen. Seit 2019 gehören auch die Ortsteile Crawinkel, Gräfenhain und Wölfis zu Ohrdruf.
Der Truppenübungsplatz Ohrdruf: Militärgebiet und Naturparadies
Der Truppenübungsplatz bei Ohrdruf hat eine lange und wechselvolle Geschichte. Seit 1871 als Manövergelände genutzt, wurde er ab 1908 offiziell ausgebaut und diente im Ersten Weltkrieg auch als Kriegsgefangenenlager. Er wurde von Reichswehr und Wehrmacht genutzt, die hier unterirdische Anlagen errichteten.
Seine dunkelste Zeit erlebte der Platz mit der Einrichtung des KZ-Außenlagers Ohrdruf/SIII Ende 1944. Die Zwangsarbeiter wurden für den Bau von Tunnel- und Bunkeranlagen eingesetzt. Im März 1945 waren hier 11.700 Häftlinge zusammengepfercht. Ein Großteil musste im April 1945 einen Todesmarsch nach Buchenwald antreten, bei dem viele starben.
Nach der Befreiung durch die US-Truppen wurde das Gebiet 1945 an die Rote Armee übergeben, die es bis 1991 als riesigen Truppenübungsplatz nutzte und sogar eine Basis für Mittelstreckenraketen einrichtete. Nach dem Abzug der Sowjetarmee mussten alle militärischen Bauten abgerissen und das Gelände saniert werden.
Heute gehört der Platz der Bundeswehr und dient weiterhin militärischen Zwecken, jedoch in reduziertem Umfang als Standortübungsplatz. Gleichzeitig hat sich das riesige Areal aufgrund der fehlenden landwirtschaftlichen Nutzung in den letzten hundert Jahren zu einem einzigartigen Naturraum entwickelt. Es ist Teil des Vogelschutzgebiets „Ohrdrufer Muschelkalkplatte und Apfelstädtaue“ und beherbergt eine Vielzahl seltener und bedrohter Tier- und Pflanzenarten, darunter Schwarzstorch, Wildkatze und Kammmolch.
Kultur und Sehenswürdigkeiten
Ohrdruf bietet Besuchern eine Reihe sehenswerter Orte:
Schloss Ehrenstein
Das Renaissance-Schloss Ehrenstein, erbaut zwischen 1550 und 1590, war einst Residenz der Grafen von Gleichen. Es wurde nach dem Brand von 2013 mit großem Aufwand wiederaufgebaut und 2022 erneut eröffnet. Es beherbergt heute wieder ein Museum, eine Bibliothek und das Stadtarchiv. Es ist ein zentraler Ort der Stadtgeschichte und Kultur.
Michaelisturm
Die historische Michaeliskirche wurde 1945 zerstört, doch ihr Turm blieb erhalten. Er wurde nach der Wende wiederaufgebaut und ist mit seiner Aussichtsplattform ein Wahrzeichen der Stadt. Im Erdgeschoss erinnert eine Gedenkstätte an Bonifatius und an Johann Christoph Bach, der hier seinen Bruder Johann Sebastian im Orgelspiel unterrichtete.
Marktplatz
Der dreieckige Marktplatz mit dem Rathaus aus dem frühen 19. Jahrhundert und Bürgerhäusern lädt zum Verweilen ein. In der Mitte steht der historische Engelsbrunnen mit der Figur des Erzengels Michael, der auch das Stadtwappen ziert.
Weitere Sehenswürdigkeiten
Dazu zählen das technische Museum Alte Gerberei, die frühklassizistische Siechhofskirche mit Teilen eines spätgotischen Altars, die barocke Trinitatiskirche (heute Hauptkirche der Stadt), die weitgehend erhaltene historische Stadtmauer, der Tobiashammer (technisches Denkmal) und das Haus Mühlberg, das heute als Bildungsstätte genutzt wird.
Orte des Gedenkens
Die Geschichte Ohrdrufs ist auch von Leid geprägt, und die Stadt hält die Erinnerung an ihre Opfer wach. Auf dem Neuen Friedhof gibt es Gedenkstätten für Gefallene des Ersten Weltkriegs, für sowjetische Zwangsarbeiter, polnische und tschechische Opfer des KZ-Außenlagers sowie für die Bombenopfer von 1945. Ein großer Gedenkstein erinnert generell an alle Opfer von Krieg, Macht und Gewalt. Ein Gedenkstein in der Waldstraße und eine Stele in der Wölfiser Straße erinnern an die Opfer des KZ-Außenlagers SIII und des Todesmarsches. Auf dem Truppenübungsplatz erinnern Obelisken und Tafeln an Massengräber sowjetischer und jugoslawischer Kriegsgefangener.
Wirtschaft und Infrastruktur
Neben traditionsreichen Handwerken hat sich in Ohrdruf ein bedeutendes Gewerbegebiet entwickelt. Große Unternehmen wie Brandt (Zwieback), Hermes Fulfilment (Versandzentrum) und Storck (Süßwaren) sind hier ansässig und wichtige Arbeitgeber. Auch MöllerTech ist mit einem Standort vertreten.
Verkehrstechnisch liegt Ohrdruf an wichtigen Bundesstraßen (B 88, B 247) und ist gut an die nahegelegenen Autobahnen A 4 und A 71 angebunden. Für Radfahrer führen die Bach-Rad-Erlebnis-Route und die Waldrandroute durch die Stadt.
Einwohnerentwicklung
Die Bevölkerungszahl Ohrdrufs hat sich im Laufe der Zeit verändert. Hier ein Überblick:
Jahr | Einwohner |
---|---|
1830 | 3588 |
1841 | 4025 |
1895 | 6164 |
1900 | 6295 |
1910 | 6504 |
1925 | 7280 |
1960 | 6697 |
1970 | 6896 |
1994 | 6073 |
1995 | 6088 |
1996 | 6191 |
1997 | 6210 |
1998 | 6177 |
1999 | 6134 |
2000 | 6082 |
2001 | 6079 |
2002 | 6121 |
2003 | 6145 |
2004 | 6102 |
2005 | 6024 |
2006 | 5974 |
2007 | 5906 |
2008 | 5824 |
2009 | 5765 |
2010 | 5745 |
2011 | 5569 |
2012 | 5466 |
2013 | 5426 |
2014 | 5395 |
2015 | 6218 |
2016 | 5520 |
2017 | 5499 |
2018 | 5472 |
2019 | 9820 |
2020 | 9652 |
2021 | 9525 |
2022 | 9613 |
Der deutliche Anstieg der Einwohnerzahl im Jahr 2019 erklärt sich durch die Eingemeindung der umliegenden Orte Crawinkel, Gräfenhain und Wölfis.
Häufig gestellte Fragen zu Ohrdruf
Hier finden Sie Antworten auf einige oft gestellte Fragen über Ohrdruf:
Was bedeutet der Name Ohrdruf?
Der Name leitet sich vom Fluss Ohra ab, der durch die Stadt fließt, und dem Wort „-dorf“, das durch Akzentverschiebung zu „-druf“ wurde. Es bedeutet also sinngemäß „Dorf an der Ohra“.
Welche Verbindung hat Johann Sebastian Bach zu Ohrdruf?
Johann Sebastian Bach verbrachte einen Teil seiner Jugend in Ohrdruf. Er lebte hier bei seinem älteren Bruder Johann Christoph Bach, der Stadtorganist war und ihn im Orgel- und Clavierspiel unterrichtete. Das Wohnhaus des Bruders brannte allerdings beim Stadtbrand von 1808 nieder.
Was ist das Besondere am Truppenübungsplatz Ohrdruf?
Der Truppenübungsplatz hat eine lange militärische Geschichte, war Standort eines KZ-Außenlagers und ist heute ein wichtiges militärisches Gelände. Gleichzeitig hat er sich zu einem wertvollen Naturraum entwickelt, der seltene Tier- und Pflanzenarten beherbergt und unter Naturschutz steht.
Welche Sehenswürdigkeiten sollte man in Ohrdruf besuchen?
Zu den Hauptattraktionen zählen das wiederaufgebaute Schloss Ehrenstein, der historische Michaelisturm mit Aussichtsplattform, der Marktplatz mit dem Rathaus und Engelsbrunnen, das technische Museum Alte Gerberei, die Siechhofskirche und die barocke Trinitatiskirche. Auch die historische Stadtmauer und der Tobiashammer sind sehenswert.
Gibt es in Ohrdruf Gedenkstätten an die Zeit des Nationalsozialismus?
Ja, Ohrdruf war Standort eines Außenlagers des KZ Buchenwald (KZ SIII). Es gibt mehrere Gedenksteine und Mahnmale, die an die Opfer dieses Lagers, des Todesmarsches sowie an Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene erinnern. Das ehemalige Lagergelände selbst ist Teil des Truppenübungsplatzes.
Welche wirtschaftliche Bedeutung hat Ohrdruf heute?
Ohrdruf hat sich nach der Wende zu einem wichtigen Industriestandort in der Region entwickelt. Große Unternehmen aus der Lebensmittel-, Logistik- und Automobilzuliefererbranche haben sich hier angesiedelt und bieten zahlreiche Arbeitsplätze.
Ohrdruf ist somit eine Stadt, die Geschichte, Kultur und Natur auf spannende Weise verbindet. Von ihrer mittelalterlichen Gründung bis hin zur modernen Wirtschaftsstruktur, vom Erbe Johann Sebastian Bachs bis zur komplexen Geschichte des Truppenübungsplatzes, bietet Ohrdruf vielfältige Einblicke. Das wiederaufgebaute Schloss Ehrenstein steht dabei symbolisch für die Resilienz und die positive Entwicklung der Stadt in den letzten Jahrzehnten.
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