Wenn wir von „chinesischem Essen“ sprechen, meinen wir oft eine bunte Mischung aus Gerichten, die wir aus Restaurants im Ausland kennen. Doch die Realität in China ist weit komplexer und faszinierender. China, ein riesiges Land mit unterschiedlichen Klimazonen, Landschaften und ethnischen Gruppen, beherbergt eine unglaubliche Vielfalt an regionalen Küchen. Es gibt nicht die eine chinesische Küche, sondern eine Vielzahl von Traditionen, die sich in Zutaten, Zubereitungsarten und Geschmäckern stark unterscheiden. Diese Vielfalt wurzelt tief in der Geografie und Geschichte des Landes.

Historisch gesehen gab es eine bedeutende Trennlinie in China, die landwirtschaftliche und ernährungstechnische Praktiken bestimmte: die Grenze zwischen dem Einzugsgebiet des Gelben Flusses (Huang He) im Norden und dem des Jangtsekiangs (Chang Jiang) im Süden. Nördlich dieser Linie war Weizen und Hirse das Hauptnahrungsmittel, während im Süden Reis dominierte. Diese grundlegende Unterscheidung prägte die Entwicklung der regionalen Küchen maßgeblich. Darüber hinaus haben die zahlreichen ethnischen Gruppen Chinas ihre eigenen kulinarischen Identitäten entwickelt, basierend auf lokalen Erzeugnissen und über Generationen weitergegebenen Traditionen. Zum Beispiel sind Milchprodukte, wie Stuten- oder Yakmilchprodukte, eher bei zentralasiatischen Volksgruppen verbreitet, während persisches Brot (Nan, in Xinjiang Shaobing genannt) in bestimmten Regionen populär ist.
Die Vielfalt Chinas: Regionale Küchen
Um die chinesische Küche wirklich zu verstehen, muss man ihre regionalen Unterschiede betrachten. Obwohl es Dutzende von lokalen Varianten gibt, lassen sich grob vier Hauptküchenbereiche unterscheiden, die jeweils einzigartige Merkmale aufweisen:
- Die Nordchinesische Küche (oft Peking-Küche)
- Die Südchinesische Küche (oft Kanton-Küche)
- Die Westchinesische Küche (oft Sichuan-Küche)
- Die Ostchinesische Küche (oft Shanghai-Küche)
Jede dieser Regionen hat ihre eigenen Grundnahrungsmittel, bevorzugten Zutaten, Kochtechniken und ikonischen Gerichte, die das Ergebnis von Jahrhunderten der Anpassung an lokale Bedingungen und kulturelle Einflüsse sind.
Die Nordchinesische Küche: Weizen, Hirse und herzhafte Speisen
Die nordchinesische Küche ist stark von der Region um Peking sowie von Einflüssen aus der Mongolei und Shandong geprägt. Das Klima im Norden ist rauer, was den Anbau von Reis erschwerte. Traditionell waren Weizen, Soja und Hirse die wichtigsten Grundnahrungsmittel. Heute hat Mais die Hirse als Viehfutter weitgehend ersetzt, während Weizen in Form von Nudeln, Klößen und Brot weiterhin eine zentrale Rolle spielt.
Die mongolischen Einflüsse zeigen sich in der häufigen Verwendung von Hammel- und Lammfleisch. Aus Shandong stammt die Vorliebe für Knoblauch und Zwiebeln als intensive Gewürze. Die Alltagsküche im Norden gilt oft als einfacher und weniger raffiniert als in anderen Regionen, was historisch auf die Notwendigkeit zurückzuführen ist, alle verfügbaren Nahrungsquellen zu nutzen und Hungersnöten entgegenzuwirken.
Wichtige Gemüse im Norden sind Chinakohl, Gurken und Sellerie. Auch Melonen, insbesondere Wassermelonen, werden angebaut. Fleischtechnisch dominiert wie im Rest Chinas Schweinefleisch, aber Rind und Lamm sind ebenfalls populär. Huhn und Ente gelten oft als Spezialitäten. Typische Gewürze sind Ingwer, Knoblauch, Sesamöl und Sojasauce.
Charakteristische Gerichte des Nordens sind Nudelsuppen und gefüllte Teigklöße. Größere, brotartiger Klöße mit fester Füllung heißen Baozi, während kleinere, eher Maultaschen-ähnliche Klöße mit individuellen Füllungen als Jiaozi bekannt sind. Früher war Hirsebrei eine häufige Alltagskost. Eine Besonderheit sind Shaobing, kleine Sesambrote, die während der Tang-Dynastie von iranischen Flüchtlingen eingeführt wurden und heute oft mit Fleisch gefüllt sind.
Eine Spezialität aus Hebei ist süß-saurer Fisch, oft aus Karpfen zubereitet. Das wohl international bekannteste Gericht dieser Region ist die Pekingente. Ihre Zubereitung ist äußerst aufwendig und erfordert spezielle Mastmethoden und Kochtechniken, weshalb sie meist Restaurants vorbehalten bleibt. Die gehobene Küche des Kaiserhofs, auch Mandarin-Küche genannt, umfasste einst luxuriöse Gerichte wie die „Acht Köstlichkeiten“, deren Zutaten von Huhn und Ente bis hin zu exotischeren Bestandteilen variieren konnten.
Die Südchinesische Küche: Kanton, Reis und frische Zutaten
Die südchinesische Küche, oft auch Kanton-Küche genannt (nach dem alten Namen von Guangdong), ist international die bekannteste chinesische Küchentradition und bildet die Grundlage für die meisten chinesischen Restaurants außerhalb Chinas. Sie genießt auch innerhalb Chinas einen hervorragenden Ruf, besonders in Guangzhou und Hongkong.
Diese Küche zeichnet sich durch ihre Vorliebe für frische Zutaten und eine weniger scharfe Würzung aus, was dem westlichen Geschmack entgegenkommt. Eine zentrale Zubereitungsmethode ist das Pfannenrühren im Wok. Die Region Guangdong ist ein Kerngebiet des Reisanbaus und verfügt über eine hochentwickelte Landwirtschaft und Fischerei.
Zu den angebauten Gemüsesorten gehören verschiedene Kohlarten, Zwiebeln, Knoblauch, Kopfsalat, Tomaten, Kartoffeln und Sojabohnen. Fermentierte Sojabohnen (tau si) sind eine wichtige Grundzutat. Typische Gewürze sind Ingwer, Frühlingszwiebeln, Salz, Essig, Sojasauce und Reiswein.
In Südchina wird traditionell eine größere Vielfalt an Tierarten gegessen als in anderen Regionen. Das Sprichwort „Jedes Tier, dessen Rücken zur Sonne zeigt, ist essbar“ unterstreicht dies. Neben Rind, Schwein und Huhn werden auch Schlangen, Insekten und Würmer verzehrt, wobei Hundefleisch, wenn überhaupt, oft eine medizinische Wirkung zugeschrieben wird. Die Integration der Ernährung in die Traditionelle Chinesische Medizin spielt in Südchina eine besonders wichtige Rolle.
An der Küste dominiert frischer Fisch, während im Landesinneren Schweinefleisch bevorzugt wird. Geflügel wird oft zu besonderen Anlässen zubereitet. Das wichtigste Grundnahrungsmittel ist Reis. Für ärmere Bevölkerungsschichten war Reis mit Sojasauce oft die einzige Mahlzeit. Suppen, die stundenlang köcheln, um die Aromen der Zutaten aufzunehmen, sind eine Spezialität. Nudeln werden entweder in Brühe gegessen oder als Chow Mein (mit Gemüse und Fleisch gebraten). Zum Frühstück ist Reissuppe (Congee) mit Tee üblich.
Die Hauptmahlzeit basiert immer auf Reis, ergänzt durch gedünsteten Fisch und pfannengerührtes Gemüse. Oft wird zum Abschluss eine Suppe serviert. Eine zweite warme Mahlzeit kann eine Nudelsuppe sein. Zu besonderen Anlässen werden Dim Sum als Vorspeisen gereicht – kleine, gefüllte Teigtaschen in unzähligen Variationen.
Die Westchinesische Küche: Schärfe aus Sichuan, Hunan und Yunnan
Die westchinesische Küche ist vor allem in den Provinzen Sichuan, Hunan und Yunnan beheimatet und wird oft unter dem Begriff Sichuan-Küche zusammengefasst. Sichuan ist eine der bevölkerungsreichsten Provinzen Chinas und gilt als „Reiskammer“, obwohl früher auch Hirse wichtig war. Heute werden auch Mais, Kartoffeln und Süßkartoffeln angebaut.
Die Markenzeichen dieser Küche sind die Verwendung von eingelegtem Gemüse (Knoblauch, Chinakohl, Bambussprossen) und vor allem die ausgeprägte Schärfe. Diese Schärfe stammt von der reichlichen Verwendung von Chili, weißem Pfeffer und dem einzigartigen Szechuanpfeffer (Zanthoxylum piperitum), der ein prickelndes Gefühl auf der Zunge hinterlässt. Es wird gesagt, dass diese Küche weltweit die einzige ist, die alle pfefferartigen Gewürze in einem Gericht kombiniert. Die Vorliebe für Schärfe ist alt und nicht erst mit der Einführung der Chili aus Amerika entstanden.
Auch getrocknete Mandarinenschalen werden als Gewürz verwendet. Schweinefleisch ist die beliebteste Fleischart. In Yunnan wird ein hochwertiger Schinken produziert, der mit spanischem Serrano-Schinken verglichen wird. Schafe und Ziegen werden ebenfalls gehalten, Rinder dienen hauptsächlich als Zugtiere. Han-Chinesen in Yunnan stellen Joghurt her, was für die meisten Chinesen untypisch ist.
Bekannte Gerichte sind die Sauer-scharf-Suppe (Suanlatang), die oft aus Lilienknospen, Pilzen, Bambussprossen, angedicktem Blut, Sesamöl, Essig, Chili und Pfeffer zubereitet wird. Ein weiteres berühmtes Gericht ist Gong Bao Ji Ding, im Wok zubereitetes Huhn mit Erdnüssen und getrockneten Mandarinenschalen. Mapo Doufu, Tofu in scharfer Sauce mit Hackfleisch, ist ein Klassiker. Ein Entengericht aus Sichuan, bei dem die Ente im Rauch von Teeblättern und Kampfer gegart wird, ist ebenfalls sehr bekannt.
Die Küche Hunans ähnelt der Sichuans, verwendet aber weniger Szechuanpfeffer. Fisch und Huhn spielen eine größere Rolle. Die Küche Yunnans ist einfacher, mit Einflüssen aus Südostasien. Kräuter und Pilze sind wichtig. Eine Spezialität ist das sekundenschnelle Garen von Gemüse und Schinken in brennendem Öl im Wok. Yunnan ist auch ein bedeutendes Teeanbaugebiet.
Die Ostchinesische Küche: Jangtse-Delta, Süße und visuelle Pracht
Die ostchinesische Küche konzentriert sich auf das Delta des Jangtsekiangs und umfasst Städte wie Shanghai, Suzhou, Hangzhou und Ningbo. Außerhalb Chinas ist sie weniger bekannt als die südchinesische Küche.
Diese Küche zeichnet sich durch einen hohen Arbeitsaufwand aus, da die optische Präsentation der Gerichte sehr wichtig ist. Grundnahrungsmittel sind Reis und Weizen. Die Region ist reich an Gemüse und Früchten, darunter eine besonders große Birnenart. Die Zucht von Seidenraupen in Maulbeerbaumplantagen ist ebenfalls bedeutend, ebenso wie die Produktion hochwertiger Teesorten.
Fleisch liefern vor allem Schweine, Hühner und Enten. Schafe und Rinder sind weniger verbreitet. Am beliebtesten ist jedoch Fisch und Meeresfrüchte. Aufgrund der Verschmutzung und Überfischung des Jangtsekiangs spielt die Zucht in Fischfarmen eine große Rolle. Krabben und Garnelen sind sehr beliebt. Auch Frösche und Schnecken werden hier gegessen, was früher in anderen Regionen belächelt wurde.
Ein Kennzeichen der ostchinesischen Küche ist die Vorliebe für die Geschmacksrichtung süß und die reichliche Verwendung von Öl, was die Gerichte relativ schwer macht. Eine spezielle Kochtechnik ist das „Rotkochen“ (Hong Shao), bei dem Fleisch oder Fisch langsam in dunkler Sojasauce und Reiswein geschmort wird, was ihnen eine charakteristische Farbe und ein reiches Aroma verleiht. Häufig verwendete Gewürze sind Ingwer, Frühlingszwiebeln, Reiswein und Zucker.
Eine Hauptmahlzeit besteht typischerweise aus Reis und drei oder vier begleitenden Gerichten. Zwischenmahlzeiten können gefüllte Klöße oder Nudelsuppen sein. Zu den Spezialitäten gehören Fisch in süß-saurer Sauce, Shrimps, Froschschenkel und Schneckengerichte. Vegetarische Gerichte spielen aufgrund der buddhistischen Tradition eine wichtige Rolle.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Obwohl die regionalen Küchen Chinas sehr unterschiedlich sind, gibt es auch einige Gemeinsamkeiten. Sojasauce, Ingwer und Frühlingszwiebeln sind in den meisten Regionen wichtige Gewürze. Der Wok ist ein universelles Kochgerät. Reis oder weizenbasierte Produkte (Nudeln, Klöße) bilden fast immer die Grundlage einer Mahlzeit.
Die Unterschiede liegen jedoch im Detail: die Art des Grundnahrungsmittels (Reis vs. Weizen/Hirse), die bevorzugten Fleischsorten, die Intensität der Würzung (scharf im Westen, süß im Osten, mild im Süden) und die Kochtechniken. Diese Unterschiede spiegeln die lokale Verfügbarkeit von Zutaten, das Klima und historische Einflüsse wider.
Region | Grundnahrungsmittel | Typische Geschmacksrichtung(en) | Bekannte Gerichte / Zutaten |
---|---|---|---|
Norden (Peking) | Weizen (Nudeln, Klöße), Hirse, Soja | Herzhaft, salzig, Zwiebel/Knoblauch betont | Pekingente, Jiaozi, Baozi, Shaobing, Lamm/Hammel |
Süden (Kanton) | Reis | Mild, süßlich, frisch, Umami | Dim Sum, Wok-Gerichte, gedünsteter Fisch, Suppen, große Vielfalt an Fleisch/Seafood |
Westen (Sichuan, Hunan) | Reis, Weizen, Mais, Kartoffeln | Scharf, betäubend (Szechuanpfeffer), sauer | Mapo Doufu, Gong Bao Ji Ding, Sauer-scharf-Suppe, eingelegtes Gemüse |
Osten (Shanghai) | Reis, Weizen | Süß, ölig, reichhaltig | Rotgekochtes Fleisch/Fisch, Fisch in süß-saurer Sauce, Shrimps, Frösche, Schnecken |
Häufig gestellte Fragen zur chinesischen Küche
Ist chinesisches Essen immer scharf?
Nein, das ist ein weit verbreiteter Irrtum. Schärfe ist ein Hauptmerkmal der westchinesischen Küchen, insbesondere in Sichuan und Hunan. Die südchinesische (Kanton) Küche ist eher mild und süßlich, während die ostchinesische Küche (Shanghai) eine Vorliebe für Süße hat. Die nordchinesische Küche ist herzhaft, aber nicht primär scharf.
Was sind die wichtigsten Grundnahrungsmittel in China?
Historisch gab es eine klare Trennung: Reis im Süden und Weizen/Hirse im Norden. Heute spielt Reis weiterhin im Süden und in Zentralchina eine dominante Rolle. Im Norden sind Weizenprodukte (Nudeln, Klöße) und Mais wichtig. Kartoffeln und Süßkartoffeln haben in einigen Regionen, besonders im Westen, an Bedeutung gewonnen.
Warum gibt es so viele regionale Unterschiede?
Die Vielfalt resultiert aus Chinas riesiger geografischer Ausdehnung mit unterschiedlichen Klimazonen und Anbaumöglichkeiten, der langen Geschichte des Landes, regionalen Handelsrouten (wie der Seidenstraße, die Einflüsse aus Persien brachte) und der Existenz zahlreicher ethnischer Gruppen mit eigenen Traditionen.
Ist die Kanton-Küche wirklich die bekannteste außerhalb Chinas?
Ja, die südchinesische Küche, oft als Kanton-Küche bezeichnet, ist international am weitesten verbreitet und bildet die Grundlage für viele „Standard“-Gerichte in chinesischen Restaurants weltweit. Das liegt unter anderem an der historischen Auswanderung von Menschen aus dieser Region.
Was bedeutet „Rotkochen“?
Rotkochen (Hong Shao) ist eine spezielle Kochtechnik aus der ostchinesischen Küche. Dabei werden Fleisch oder Fisch langsam in einer Sauce aus dunkler Sojasauce, Reiswein und oft Zucker geschmort. Dies verleiht den Gerichten eine charakteristische rötlich-braune Farbe und einen tiefen, leicht süßlichen Geschmack.
Die kulinarische Landschaft Chinas ist ein faszinierendes Mosaik aus Aromen, Texturen und Traditionen. Jede Region erzählt ihre eigene Geschichte durch ihr Essen, geprägt von der Erde, dem Wasser und den Menschen, die dort leben. Eine Entdeckungsreise durch die chinesischen Regionalküchen ist eine unendliche Reise voller köstlicher Überraschungen.
Hat dich der Artikel Chinesische Küche: Eine Reise durch die Regionen interessiert? Schau auch in die Kategorie Küche rein – dort findest du mehr ähnliche Inhalte!