Wilhelm Buschs „Max und Moritz – Eine Bubengeschichte in sieben Streichen“ ist bis heute eines der bekanntesten und meistverkauften Kinderbücher der Welt. Erschienen im Jahr 1865, hat es Generationen von Lesern fasziniert und zugleich polarisiert. Die Geschichte der beiden Lausbuben, die mit ihren Streichen das Dorfleben auf den Kopf stellen, war keineswegs von Anfang an unumstritten. Tatsächlich wurde das Manuskript zunächst von einem Verleger abgelehnt, gerade wegen jener Elemente, die das Werk so einzigartig machen: die Darstellung von Tierquälerei und menschlicher Boshaftigkeit. Doch gerade diese unkonventionelle Herangehensweise und der schwarze Humor trugen zu einem Erfolg bei, der Wilhelm Busch zu einem der Wegbereiter einer neuen Kunstform machen sollte.

Der schwierige Anfang: Ablehnung und Akzeptanz
Im Jahr 1863, Wilhelm Busch war 31 Jahre alt und hatte sich vom Kunststudium und seinen Eltern distanziert, zeichnete er rund hundert Blätter, die die Streiche von Max und Moritz illustrierten. Diese bot er zunächst seinem Verleger Heinrich Richter in Dresden an. Doch Richter lehnte ab. Er konnte sich mit den Bildergeschichten, in denen Tiere gequält und Menschen geneckt wurden, nicht anfreunden. Er glaubte nicht an den kommerziellen Erfolg solcher Geschichten, ein Urteil, das auch sein Vater Ludwig Richter teilte, der meinte, Leute, die an so etwas Vergnügen hätten, würden keine Bücher kaufen. Dies geschah Anfang 1865, nachdem bereits ein früheres, 1864 bei Richter erschienenes Buch Buschs als Misserfolg galt.
Busch wandte sich daraufhin wieder an seinen alten Verleger Kaspar Braun in München, mit dem er zuvor schon für den Münchener Bilderbogen und die Fliegenden Blätter zusammengearbeitet hatte, auch wenn das Verhältnis zwischen ihnen zeitweise angespannt war. Braun erkannte sofort das Potenzial der Lausbubengeschichte und sagte umgehend zu. Er zahlte Wilhelm Busch für die Rechte an der Geschichte einmalig 1.000 Gulden, eine für Busch beträchtliche Summe, die etwa zwei Jahreslöhnen eines Handwerkers entsprach. Für Braun sollte sich dies als verlegerischer Glücksgriff erweisen.
Im August 1865 zeichnete Busch die Geschichte auf Holzdruckstöcke, und im Oktober desselben Jahres erschien „Max und Moritz“ mit einer Startauflage von 4.000 Exemplaren. Obwohl der Verkauf der ersten Auflage einige Zeit in Anspruch nahm (bis 1868), entwickelte sich das Buch zu einem gigantischen Erfolg. Noch zu Lebzeiten Buschs überschritt die Auflage 430.000 Stück, und bis heute wurde das Werk in rund 300 Sprachen und Dialekte übersetzt. Die anfänglichen Bedenken Richters erwiesen sich als völlig unbegründet.
Keine pädagogische Absicht, sondern pure Satire
Ein zentraler Punkt zum Verständnis von Max und Moritz ist Wilhelm Buschs Absicht. Wie die Busch-Biografin Gudrun Schury betont, verfolgte Busch keine pädagogischen Ziele. Er wollte keine Moral lehren, sondern verfasste eine satirische Geschichte ohne moralischen Nutzen. Busch war ein scharfer Beobachter der Gesellschaft und des menschlichen Wesens. Mit Max und Moritz schuf er eine Art Versuchsanordnung: Was passiert, wenn Chaos in die scheinbar geordnete Welt eines verschlafenen Dorfes eindringt? Die Geschichte zielt dabei auf das provinzielle, deutsche kleinbürgerliche Leben ab, das Busch genau beobachtete und karikierte.

Die Darstellung der Kinder in Max und Moritz steht im krassen Gegensatz zum idealisierten, unschuldigen Kinderbild der zeitgenössischen sentimentalen Familienromane. Buschs Kinderfiguren, und Max und Moritz sind hier paradigmatisch, sind aggressiv und bösartig. Dies wurzelt in Wilhelm Buschs eher pessimistischem Menschenbild, das von der protestantischen Ethik des 19. Jahrhunderts beeinflusst war und besagte, dass der Mensch von Natur aus böse sei und seine Laster nicht überwinden könne. Zivilisierung durch Erziehung kann demnach das Triebhafte im Menschen nur oberflächlich überdecken. Sanftmut führt nur zu weiteren Missetaten; Strafe ist notwendig, auch wenn sie zu „dressierten Marionetten“ oder im Extremfall zu toten Kindern führt. Max und Moritz verkörpern diese unverbesserliche, von reinem Tätigkeitsdrang getriebene Bosheit.
Struktur und die berühmten sieben Streiche
Max und Moritz ist kein durchgängiges Drama, sondern eine Abfolge einzelner Episoden oder Streiche, gerahmt von einem Prolog und einem Epilog. Im Prolog werden die beiden Lausbuben vorgestellt und ihre allgemeine Schlechtigkeit parodistisch-satirisch angedeutet. In sieben Streichen wird dann ihr kurzes, von Untaten geprägtes Leben erzählt. Die Handlung steuert unaufhaltsam auf das Ende zu, das im siebten Streich erreicht wird, wo die beiden Protagonisten zu Tode kommen. Das Dorf rächt sich, und – ein Element des schwarzen Humors – niemand trauert um sie.
Die sieben Streiche im Überblick, basierend auf dem Text:
- 1. Streich: Opfer ist Witwe Bolte. Max und Moritz legen Köder mit Schnüren aus, die die Hühner fressen. Die Hühner verfangen sich daraufhin im Apfelbaum und sterben. Witwe Bolte brät sie.
- 2. Streich: Der zweite Teil des Hühnerstreichs. Während Witwe Bolte Sauerkohl holt, angeln Max und Moritz die gebratenen Hühner durch den Kamin aus der Pfanne. Witwe Bolte bestraft fälschlicherweise ihren Hund Spitz.
- 3. Streich: Opfer ist Schneider Böck. Sie sägen einen Holzsteg neben seinem Haus an und locken ihn mit Schmährufen heraus. Als er sie verfolgt, bricht der Steg, und er fällt in den Bach. Er wird von Gänsen gerettet.
- 4. Streich: Opfer ist Lehrer Lämpel. Sie schleichen sich in sein Haus und füllen Schwarzpulver in seine Meerschaum-Pfeife. Als er sie anzündet, explodiert sie, und er erleidet schwere Verbrennungen.
- 5. Streich: Opfer ist Onkel Fritz. Die Buben setzen ihm Maikäfer ins Bett. Er muss die ganze Nacht gegen die eigentlich harmlosen Insekten kämpfen, um sie zu vernichten.
- 6. Streich: Ein misslungener Streich beim Bäcker. Sie gelangen über den Kamin in die Bäckerei, fallen in die Mehlkiste und dann in die Teigmulde. Der Bäcker formt sie zu Broten und backt sie. Sie überleben jedoch, fressen sich durch den Teig und entkommen.
- 7. Streich: Der letzte Streich. Sie schneiden Löcher in die Getreidesäcke von Bauer Mecke. Er erwischt sie, bringt sie zur Mühle, wo der Müller sie zerschrotet. Die Reste werden von Enten aufgefressen. Dies ist das Ende der beiden.
Kennzeichnend für die Geschichte ist das sich wiederholende Prinzip, nach dem Chaos in die schöne Ordnung platzt. Busch beschreibt oft detailreich die anfängliche Ordnung (z.B. die Hühnerhaltung bei Witwe Bolte oder Onkel Fritz im Bett), bevor sie durch die Streiche gestört wird. Die beiden Übeltäter sind in der Regel keine Zeugen der direkten Folgen ihrer Taten, diese werden nur dem Leser gezeigt – ein weiteres Element, das die Komik und den schwarzen Humor verstärkt.
Die Figuren: Ein Spiegel der Gesellschaft
Die Opfer der Streiche sind typische Vertreter des deutschen Kleinbürgertums: die Witwe Bolte, der Schneider Böck, der Lehrer Lämpel, Onkel Fritz, der Bäcker, der Müller und der Bauer Mecke. Busch formte diese Figuren nach den Bewohnern der norddeutschen Dörfer, in denen er den größten Teil seines Lebens verbrachte. Namen wie Bolte und Mecke waren in seinem Geburtsort Wiedensahl verbreitet. Die Figuren sind oft karikiert und spiegeln Busch Hang zur Darstellung bar jeder Feinfühligkeit wider.
Lehrer Lämpel etwa, der auch Organist ist, wird durch seine Kleidung (Frack, steifer Kragen, Gamaschen) und seinen Namen („Lämpel“ – kleine Lampe, was auf kein großes Geisteslicht hindeutet) satirisch dargestellt. Schneider Böck spielt auf das Klischee des Schneiders an, der oft Ziel von Spott und Häme war. Selbst die „guten“ Figuren wie Witwe Bolte, Onkel Fritz oder Lehrer Lämpel reagieren am Ende mit Befriedigung oder Gleichgültigkeit auf den Tod der Buben, was die Heuchelei des Kleinbürgertums entlarvt. Bauer Meckes plattdeutscher Kommentar „Wat geiht meck dat an?!“ (Was geht mich das an?!) ist ein Paradebeispiel für diesen zynischen Abschluss.

Sprache und Technik: Die Geburt der Bildergeschichte
Max und Moritz ist ein Meisterwerk der Kombination von Text und Bild. Die Geschichte ist in vierhebigen Trochäen gedichtet, deren betonte Silben die Komik der Verse verstärken. Busch verwendet zahlreiche lautmalerische Sprachschöpfungen, die die Handlung lebendig machen: „Schnupdiwup“ für das Angeln der Hühner, „Ritzeratze!“ für das Sägen des Stegs, „Rickeracke! Rickeracke! Geht die Mühle mit Geknacke“ für das Geräusch der Mühle. Auch neu konstruierte Wortverbindungen wie „Käferkrabbelei“ oder grammatische Unrichtigkeiten tragen zur Einzigartigkeit und Komik bei.
Die visuellen Elemente wurden für die erste Ausgabe im Holzstich-Verfahren realisiert, einer Hochdrucktechnik, bei der die Zeichnungen auf Holzstöcke übertragen und dann von Facharbeitern gestochen wurden. Busch betonte stets, dass er zuerst die Zeichnungen anfertigte und dann die Verse dazu verfasste. Die Technik des Holzstichs erlaubte keine allzu feine Strichführung, was dazu führte, dass die Konturen der Figuren stark hervortreten – ein Merkmal, das ihnen ihre spezifische Charakteristik verleiht. Frühe Ausgaben wurden von Hand koloriert, spätere, insbesondere ab 1918 mit dem Farbendruck, wurden zunehmend bunter. Erst ab Mitte der 1870er Jahre nutzte Busch die Zinkografie, die freiere Federzeichnungen ermöglichte.
Ein Vorläufer des modernen Comics
Wilhelm Buschs virtuose Verbindung von Bild und Wort und die sequentielle Erzählweise machen ihn zu einem wichtigen Vorläufer des modernen Comics. Obwohl die Geburtsstunde des Comics oft mit Richard F. Outcaults „Yellow Kid“ (1895) datiert wird, zählt Busch zweifellos zu den Wegbereitern dieser Kunstform. Die Zerlegung der Handlung in einzelne Szenen, die Betonung von Bewegung und Aktion durch Perspektivwechsel und die lautmalerische Sprache finden sich heute selbstverständlich in Comics und Zeichentrickfilmen wieder.
Sogar der wohl älteste noch fortgesetzte Comicstrip, die „Katzenjammer Kids“ von Rudolph Dirks (ab 1897), entstand auf ausdrücklichen Wunsch des Verlegers William Randolph Hearst, der ein Geschwisterpaar nach dem Vorbild von Max und Moritz suchte. Buschs Einfluss auf die Entwicklung des sequentiellen Bildererzählens ist unbestreitbar.

Die “Moral von der Geschicht’” – oder eben nicht
Die Geschichte endet mit dem moralischen Hinweis: „Bosheit ist kein Lebenszweck!“. Doch dieser Satz wird durch die Reaktionen der Dorfbewohner auf den Tod der beiden Jungen ironisch unterlaufen. Anstatt Trauer oder Bedauern herrscht allgemeine Erleichterung und Schadenfreude. Die Reaktionen reichen von Witwe Boltes „Sieh da, ich dacht es gleich!“ über Meister Böcks „Bosheit ist kein Lebenszweck!“ (was angesichts seiner eigenen Rettung ironisch klingt) bis hin zu Bauer Meckes gleichgültigem „Wat geiht meck dat an?!“. Die Freude über das Ende der Übeltäter überwiegt deutlich.
Dies unterstreicht Buschs Hang zum schwarzen Humor und seine Kritik an der Heuchelei der Erwachsenenwelt. Kulturwissenschaftler wie Gert Ueding sehen in Max und Moritz Provokateure, die die unterdrückten Trieb- und Willensregungen der Erwachsenen zum Vorschein bringen. Der Tod der Kinder symbolisiert dann den autoritären Akt, mit dem die Erwachsenen ihre eigene Versuchung, ähnlich zu handeln, niederkämpfen.
Sind Max und Moritz für Kinder geeignet?
Angesichts der dargestellten Grausamkeiten und des schwarzen Humors stellt sich die Frage nach der Eignung für Kinder. Die ursprüngliche Geschichte war, wie Busch selbst betonte, keine moralische Belehrung. Moderne Ausgaben werden oft für ein jüngeres Publikum aufbereitet. So gibt es einen Sammelband, der neben Max und Moritz auch die inspirierten Geschichten „Maus & Molli“ und „Plisch & Plum“ enthält und als „Bilderbuch-Vergnügen für die ganze Familie – auch zum Vorlesen für Kinder ab 5 Jahren geeignet“ beworben wird. Dies zeigt, dass das Werk in adaptierter Form weiterhin als Kinderbuch vermarktet wird, während die Interpretation des Originals komplexer ist und auch erwachsene Leser anspricht.
Zusammenfassung: Ein umstrittener Klassiker
Max und Moritz war von Anfang an ein Werk, das polarisierte. Die anfängliche Ablehnung durch Heinrich Richter wegen der dargestellten Bosheit und Tierquälerei steht im Gegensatz zum überwältigenden Erfolg nach der Veröffentlichung durch Kaspar Braun. Wilhelm Buschs Absicht war nicht pädagogisch, sondern satirisch; er nutzte die Geschichte, um das kleinbürgerliche Leben und die menschliche Natur mit schwarzem Humor zu karikieren. Die unkonventionelle Darstellung von Kindern und Erwachsenen, die innovative Verbindung von Text und Bild sowie die sequentielle Erzählweise machten Max und Moritz zu einem wichtigen Werk der Literatur- und Kunstgeschichte und einem Vorläufer des modernen Comics. Die Frage „Warum sind Max und Moritz verboten?“ lässt sich nicht mit einem Ja beantworten; sie waren nie offiziell verboten, aber ihre kontroverse Natur führte zur anfänglichen Ablehnung und regt bis heute zur Diskussion an.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- War Max und Moritz jemals verboten? Nein, die Geschichte war nie offiziell verboten. Sie wurde jedoch zunächst von einem Verleger wegen ihres Inhalts (Tierquälerei, Neckereien) abgelehnt.
- Was war Wilhelm Buschs Absicht mit Max und Moritz? Busch verfolgte keine pädagogischen Absichten. Er wollte eine satirische Geschichte erzählen, die das kleinbürgerliche Leben karikiert und menschliche Bosheit beobachtet.
- Warum lehnte Heinrich Richter das Manuskript ab? Er glaubte nicht an den Erfolg von Bildergeschichten, die Tiere quälten und Menschen neckten, und fand den Inhalt zu grausam.
- Wie wurde Max und Moritz gedruckt? Die erste Ausgabe wurde im Holzstich-Verfahren hergestellt, bei dem Buschs Zeichnungen von Spezialisten auf Holzstöcke übertragen und gestochen wurden.
- Sind die Geschichten von Max und Moritz wahr? Wilhelm Busch selbst sagte, dass das meiste ausgedacht sei, aber einiges wirklich passiert sei und dass böse Streiche kein gutes Ende nehmen, sei sicher wahr. Die Figuren basieren lose auf realen Personen und eigenen Kindheitserlebnissen.
- Ist Max und Moritz für Kinder geeignet? Die ursprüngliche Geschichte enthält Grausamkeiten und schwarzen Humor, die für sehr kleine Kinder verstörend sein können. Moderne, oft adaptierte Ausgaben werden teilweise für Kinder ab 5 Jahren empfohlen.
- Inwiefern beeinflusste Max und Moritz den Comic? Durch die Kombination von Bild und Text, die sequentielle Erzählweise und die Darstellung von Bewegung gilt Buschs Werk als wichtiger Vorläufer des modernen Comics.
Aspekt | Sicht von Verleger Heinrich Richter (1865) | Realität nach Veröffentlichung (ab 1865) |
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Inhalt (Tierquälerei, Neckereien) | Gefährlich, kein Marktpotenzial | Umstritten, aber faszinierend, riesiger Erfolg |
Art der Geschichte (Bildergeschichte) | Zweifelhaft, nicht ernstzunehmend | Innovativ, wegweisend für neue Kunstformen |
Zielgruppe | Keine Käufer für solch ein Werk | Massenhaftes Publikum, wird zum Klassiker |
Kommerzieller Erfolg | Nicht zu erwarten | Gigantisch, eines der meistverkauften Bücher |
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